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Alberto Giacometti. Das Maß der Welt

„Alberto Giacometti. Das Maß der Welt“ (11. Oktober 2025 – 15. Februar 2026) in der Kunsthalle Bremen ist die erste umfassende monographische Ausstellung über das Leben und Werk des schweizerischen Bildhauers und Malers Alberto Giacometti seit mehr als zehn Jahren in Deutschland. Es ist zugleich die erste Retrospektive, die sich speziell Giacomettis intensiver Beschäftigung mit der Stellung des Menschen in der Welt und Natur widmet. Gezeigt werden über 100 Werke darunter Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen und Drucke. Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit der Fondation Giacometti in Paris.

Alberto Giacometti (1901–1966) zählt zu den bedeutendsten europäischen Künstlern des 20.
Jahrhunderts. Mit seinen eindrücklichen überlängten Figuren hat er die Bildhauerei nach dem
Zweiten Weltkrieg grundsätzlich neu formuliert. Die Ausstellung „Das Maß der Welt“ lenkt den
Blick auf zwei zentrale Themen in seinem Werk: Zum einen auf das ‚rechte Maß‘, das bei
Giacometti stets im Gegensatz steht zur naturgetreuen Darstellung. Und zum anderen schaut die
Ausstellung auf seine Frage nach der Stellung des Menschen in der Welt.

Postimpressionstische Vätergeneration, heimatliche Alpenlandschaft und Ideen der Romantik

Alberto Giacometti wurde als junger Künstler durch vielfältige Einflüsse geprägt. Zum einen durch
das künstlerische Umfeld, in dem er aufgewachsen ist: Sein Vater, der postimpressionistische Maler
Giovanni Giacometti (1868–1933) zählte ebenso wie dessen Malerfreunde Ferdinand Hodler (1853–
1918), Cuno Amiet (1868–1961) und Giovanni Segantini (1858–1899) zu den erfolgreichsten
Künstlern der Schweiz. Zum anderen durch die spektakuläre Alpenlandschaft seiner Heimat: Die
beiden Täler Bergell und Engadin im Kanton Graubünden mit ihrem teils malerischen, teils
monumentalen Charakter prägten seine Sicht auf die Welt. Darüber hinaus begeisterte sich
Giacometti als Jugendlicher besonders für die Ideen der deutschen Romantik und macht sich mit der
Vorstellung der Alpen als Inbegriff des Erhabenen vertraut. Die Idee von der Monumentalität der Natur,  mit der sich der Mensch als kleines Wesen konfrontiert sieht, sowie eine intensive
Naturverbundenheit, wurden zu Konstanten in seinem späteren Schaffen.

Von den erhabenen Schweizer Alpen hin zur Kunstmetropole Paris

Zwischen 1914–23 fertigte der junge Künstler Ölgemälde, Zeichnungen
und vor allem Aquarelle, die seine Heimat in den Schweizer Alpen
zeigen. Die Lichtstimmung ist in diesen frühen Landschaftsbildern von
zentraler Bedeutung. Die Werke zeigen beispielsweise den Silsersee mit
dem heute noch bestehenden „Hotel in Maloja“ (um 1920) oder „Bäume
am Seeufer“ (um 1919) mit von der Sonne zum Glühen gebrachten Gipfel
rund um den Bergsee Cavloccio.
Der junge Künstler strebte jedoch nicht nach Imitation. Vielmehr ging es
ihm darum, sich prüfend mit der eigenen Wahrnehmung
auseinanderzusetzen. Auch als Giacometti 1922 nach Paris zog um
Bildhauerei zu studieren, blieb die Aufgabe – seine Wahrnehmung der
Wirklichkeit in Kunst zu übersetzen – für ihn immer dieselbe.

Die menschliche Figur als zentrales Motiv

Seine Entscheidung, sich auf die Bildhauerkunst zu fokussieren, hängt
zusammen mit seiner ausgeprägten Aufmerksamkeit für seine Umgebung,
die Räume, die sich in ihr ergeben und für die Materie der Dinge an sich.
1935 formulierte er sein Ziel, herausfinden zu wollen, wie man einen
menschlichen Kopf wirklichkeitsgetreu darstellen könne. Die
Entscheidung, die menschliche Figur zum zentralen Motiv zu machen,
war wegweisend für sein gesamtes folgendes Schaffen. Er arbeitete an
Köpfen von seinem Bruder Diego, dem Berufsmodell Rita Gueyfier sowie
seiner Frau Annette. Er experimentierte mit unterschiedlichen Techniken,
Materialien und Ansätzen.

Bäume wie Frauen, Berge wie Menschen

Aus dem Antrieb, seine Sicht auf die Welt in seiner Kunst auszudrücken,
entwickelte Alberto Giacometti nach dem Zweiten Weltkrieg stehende
Frauenfiguren, die zu einem wiederkehrenden Motiv in seinem Schaffen
wurden. Die strenge unbewegliche Aufrichtung der Figuren macht den
Einfluss altägyptische Kunst spürbar, die Giacometti beeindruckte. Er
verknüpfte die schlank nach oben wachsenden Figuren aber auch mit
seinen Erinnerungen an hoch aufragende Nadelbäume in seiner Schweizer
Heimat. So, wie Giacometti Bäume als Frauen wahrnahm, so sah er auch
Berge wie Menschen an. Folglich sind die zerfurchten Oberflächen von
Giacomettis Plastiken nicht nur Ergebnisse seines rastlos suchenden
Formungsprozesses. Sie erinnern auch an die Strukturen der Berge in
seiner Heimat und bezeugen damit sein Denken in Analogien zwischen
Natur und Mensch.

Isolation des Menschen

Seit den 1940er Jahren wurde das Thema der Einsamkeit immer
wichtiger in Giacomettis Schaffen. Dies zeigt sich sowohl in seinen
wie von der Umwelt isoliert stehenden Figuren sowie in Gemälden und
Zeichnungen, in denen er einsame Menschen in weite Landschaften
hineinsetzte. Auch in seinen Gruppenkompositionen „Drei schreitende
Männer“ (1948) und „Der Käfig“ (1950) erscheinen die Dargestellten
vereinzelt und allein in der Welt. Die hier versammelten Wesen teilen
sich zwar einen gemeinsamen Raum, sie existieren nebeneinander,
aber sie interagieren nicht, wie Giacometti es auch im Alltag in Paris
beobachtete. Während Giacometti sich selbst niemals als ‚Künstler der
Einsamkeit‘ verstand, so erinnern seine Figuren doch an die Idee vom
Menschen als einsames, fragendes Wesen in der Welt, auf der Suche
nach Sinn.

Das Erhabene und der Mensch

In den Kriegsjahren 1941–45, die Giacometti abwechselnd in einem
winzigen Zimmer im Hôtel de Rive in Genf und im engen Tal des
Bergell verbrachte, verstärkte sich sein Eindruck, die menschliche
Figur nicht losgelöst vom umgreifenden Raum darstellen zu können.
In dieser Zeit wurden seine Skulpturen immer kleiner, bis sie
schließlich nur noch wenige Zentimeter maßen. Zum Ausgleich für
diese fortschreitende Reduzierung, die schließlich an
Entmaterialisierung grenzte, stellte er sie auf Sockel. Gestapelt und
variierend in Größe und Maßstab wurden sie zu zentralen Elementen
seiner Werke. Nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer winzigen
Dimensionen erhalten seine kleinen Figuren einen Ausdruck von
Größe.
Der Künstler, der in seiner Jugend die Unermesslichkeit der
Umgebung des Bergell in sich aufgesogen hatte, fand in der
Beschäftigung mit den Beziehungen zwischen unterschiedlichen
Maßstäben ebenjenes Wirklichkeitsempfinden wieder, das sich dem
menschlichen Erkenntnisvermögen entzieht.

Die Verbindung von Zeit und Raum

Das aus 150 Lithographien bestehende Künstlerbuch „Paris sans fin“ (dt.: „Paris ohne Ende“) (1969 posthum veröffentlicht) ist ein Höhepunkt im späten Schaffen des Künstlers. Die einzelnen Graphiken zeigen alltägliche Momente und unterschiedliche räumliche Situationen, die sich zu einem ganz persönlichen Kompendium der Metropole zusammenfügen. Gerade die Darstellungen von weiten Landschaften außerhalb des Stadtkerns zeigen die Unbegrenztheit von Giacomettis Blick, mit dem er das „immerwährende Paris“ einfing. Zweifellos drückt sich hier das vom Künstler beschriebene Gefühl einer ausgedehnten und zirkulären Zeit in einer anderen Form aus.

Zur Ausstellung

Mit „Alberto Giacometti. Das Maß der Welt“ präsentiert die Kunsthalle Bremen die erste Retrospektive seines Werks in Bremen. Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit der Fondation Giacometti in Paris, aus deren umfangreicher Sammlung die Exponate stammen. Sie werden ergänzt durch ausgewählte Werke aus dem Kupferstichkabinett der Kunsthalle Bremen sowie einem Film des Dokumentarfilmers Arnold Fanck (1889–1974) und einer Videoarbeit der Künstlerin Ulrika Sparre (1974–2025). Die thematisch gegliederte Ausstellung zeigt alle Medien, die Giacometti verwendete – Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen und Drucke. Sie bietet einen umfassenden Überblick über sein Schaffen, von seinen frühen Werken bis zur surrealistischen Phase, von seiner Rückkehr zur Figuration bis zu seinen Arbeiten nach Modellen und zur Erfindung seines ikonisch gewordenen Stils der Nachkriegszeit.

Katalog:
Begleitend zur Ausstellung erscheint ein Katalog auf Deutsch und Englisch mit zahlreichen Abbildungen und Texten von Hugo Daniel, Eva Fischer-Hausdorf, Stefan Krämer und Romain Perrin. Der Katalog erscheint im Schirmer Mosel Verlag. 37,90 € im Museumsshop. 48 € im Buchhandel. ISBN 978-3-8296-1055-1

Foto: Alberto Giacometti, Drei schreitende Männer (kleines Quadrat), 1948, Bronze, Fondation Giacometti, Paris © Succession Alberto Giacometti / ADAGP Paris, 2025